Das meiste, was man heute über die keltischen Stämme und ihre Wanderungen weiß, wurde von antiken griechischen Autoren wie Hekataios von Milet oder Herodot aus Halikarnassos niedergeschrieben. In ihren Aufzeichnungen taucht als erstes der Name Kelten (Celtoi) auf. Beide lebten etwas im 5. Jahrhundert vor Chr. und stammten von der kleinasiatischen Westküste. Von jenem Gebiet also, in das auch die Kelten eindrangen. Auch aus den Schriften römischer Autoren wie Livius oder Polybios konnte man vieles über das Leben der Kelten in Erfahrung bringen.
Die zweite wichtige Quelle sind die archäologischen Ausgrabungen, sei es die Entdeckung von Gräbern oder von Resten alter Siedlungen. Den Archäologen gelang es, bestimmte Schmucktypen einer eindeutigen Region zuzuordnen. Diese Stücke hatten wiederum ein ganz bestimmtes Verbreitungsgebiet. Durch die Ausbreitung der Hallstatt- und La-Tene-Kultur konnten die Wege der Wanderungen nachvollzogen werden bzw. war die Möglichkeit gegeben, die gefundenen hochentwickelten keltischen Kunstwerke einem Stamm zuzuordnen. Die Spuren der Kelten verlieren sich jedoch immer wieder und treten an anderer Stelle unvermutet auf, so daß eine lückenlose Geschichtsschreibung über die keltischen Völker kaum möglich sein wird.
Die Vorfahren der Kelten kamen aus dem Osten. Es war ein Volk, das indogermanisch sprach und aus dem nicht nur die Kelten sondern auch die Inder, Armenier und Römer hervorgingen. Dieses Volk lebte am Rande des Urals und machte sich von dort aus in den Westen auf. Um 1800 v.Chr. entstand im heutigen Böhmen die s.g. “Aunjetitzer Kultur” (genannt nach einem archäologischen Fundort unweit von Prag), aus der schließlich die Kelten, Italiker. Illyrer und Veneter hervorgegangen sind. Doch Böhmen war für die Kelten noch lange nicht die Endstation. Die Suche nach geeigneten Siedlungsgebieten, die gute Lebensbedingungen ermöglichten, der Druck der schnell wachsenden Bevölkerung, und kriegerische Auseiandersetzungen, etwa mit nachdrängenden Volksgruppen aus dem Osten, veranlaßten die Kelten zu ihren großen Wanderungen quer durch Europa.
Zunächst soll der Begriff “Wanderung” näher erläutert werden. Es wandern nicht nur Menschengruppen oder Einzelne, sondern man spricht auch von Wanderungen, wenn Sprachen, Kunststile oder Religionen auf andere Bevölkerungsgruppen übergehen.
Auch gibt es mehrere Gründe, die eine Ausbreitungswelle hervorrufen. Zum einen durch eine Übervölkerung in den ursprünglichen Siedlungsgebieten. Hier wandern Gruppen mit dem Ziel der erneuten Seßhaftigkeit an einem ungefährlichen oder von der Natur begünstigten Ort. Durch Anpassung an neue Lebensgewohnheiten und Nachbargruppen können neue Stämme entstehen oder die Gruppe vermischt sich mit einem bereits bestehenden Stamm. Ein zweiter Grund, die Heimat auf Dauer zu verlassen, sind Naturkatastrophen oder Kriege mit Nachbarvölkern. Manche Gruppen suchen auch hier einen neuen Ort, um seßhaft zu werden, andere stellen ihr Leben auf eine ”mobile Raubexistenz” um, d.h. sie ziehen durch fremde Länder und leben von Plünderungen. Wandert ein Volk, so ist in der Geschichte zu beobachten, daß durch diese Bewegungen andere Stämme oder Gruppen mitgerissen werden. Man spricht dann von ”Wanderlawinen”. Fest steht, daß bei den keltischen Stämmen alle Arten der Wanderungen anzutreffen sind.
Wir wollen nun versuchen, ausgehend von den erwähnten drei Ursprungsgebieten, die Wanderungen nach allen Himmelsrichtungen darzustellen: Die ersten Siedlungsgebiete, die bekannt sind, erstrecken sich von der Champagne (Frankreich), Süddeutschland bis ins österreichische Donautal. Von hier aus erfolgten weitere bedeutende Wanderbewegungen. Neuere Forschungen lassen vermuten, daß die spanischen und irischen Kelten, entgegen früherer Annahmen, doch Ureinwohner waren, die durch ihre Handelsbeziehungen Kunststile übernahmen. Aber auch bei dieser Annahme geht man davon aus, daß in die jeweiligen Gebiete weitere keltische Stämme einwanderten.
Wanderungen nach Norden und Nordosten
Nachweise für Vorstöße ins nördliche und nordöstliche Europa gibt es nur spärlich. Es konnte bis heute nicht geklärt werden, wieweit sich das Wohngebiet der Kelten nach Norden und Nordosten erstreckte. Die Ausbreitung nach Norden dürfte allerdings gering gewesen sein, zumal vom Norden die Germanen ihr Siedlungsgebiet nach Süden zu erweitern suchten. Dies ist ein Hauptgrund, warum die keltischen Stämme eher in südliche Richtungen auswanderten. Im heutigen Deutschland breiteten sich Stämme von Süddeutschland am Rhein entlang bis zur Nordseeküste aus.
Wanderungen nach Osten
Von Süddeutschland wanderten die Kelten am Istrois (der Donau) entlang bis nach Böhmen. Der Bezeichnung Böhmen leitet sich vom Stamm der Bojer ab. Einige gelangten zum nördlichen Ufer des Schwarzen Meeres. Hier überfielen sie die griechische Kolonie Olbia und riefen dadurch eine gewaltige Erschütterung in der klassischen Welt hervor.
Wanderungen nach Südosten
Von Süddeutschland und dem österreichischen Donautal wanderten Gruppen, durch das Donautal bis in die ungarische Tiefebene. Dies konnte anhand von Grabfunden rekonstruiert werden. So wurden beispielsweise in der Nähe des Plattensees in Ungarn Scheibenhalsringe einer Frau entdeckt, die für das Gebiet am Oberrhein typisch waren. Da dieser Schmuck außerhalb des Verbreitungsgebietes der oberrheinischen Stämme gefunden wurde, kann man davon ausgehen, dass die Ringe durch die Wanderung einer Frau in dieses Gebiet gelangten. Vom Gebiet des heutigen Ungarns aus, wanderten keltische Stämme in das westliche Karpatenbecken bis zum westlichen Ufer des Schwarzen Meeres. Eine größere Bestürzung lösten bei den Griechen jene Stämme aus, die über das heutige Slowenien nach Mazedonien und Nordgriechenland vordrangen und schließlich im Jahre 279 v.Ch. am Orakel in Delphi anlangten. Ob die Kelten Delphi plünderten, konnte bis heute nicht eindeutig nachgewiesen werden. Alte Quellen berichten widersprüchliches: einerseits schrieben griechische Autoren vom erfolgreichen Eingreifen ihrer Götter, so daß das Orakel verschont blieb. Andere Quellen berichten über die Verwüstung der Orakelstätte. Zur Besiedlung suchten sich die Kelten jedoch keine blühende Landschaft in Kleinasien, sondern ließen sich im kargen Gebiet Zentralanatoliens nieder. Hier gründeten sie das Königreich Galatien, so daß der Stamm die Galatier genannt wird (Galater ist die griech. Bezeichnung für Gallier). Von hier aus unternahmen sie gezielte Plünderungen in die fruchtbaren und reichen Länder Kleinasiens. Die Hügelfestungen und Burgen, die in literarischen Quellen angegeben werden, konnten nicht entdeckt werden. Fest steht, daß das heutige Ankara auf eine keltische Siedlung zurückgeht.
Wanderungen nach Süden
Der erste Stamm, der über die Alpen nach Oberitalien gelangte, war der Stamm der Insubrer. Sie wurden in Oberitalien seßhaft und vermischten sich teilweise mit den dort lebenden Etruskern. Dies beweisen wiederum Grabfunde. So entdeckte man ein keltisches Grab, indem man Tongefäße mit etruskischem Grafiti – Muster fand. Das Gebiet, das die keltischen Stämme besiedelten wurde als “Gallia cisalpina”, Gallien diesseits der Alpen, bezeichnet. Die Kelten der zweiten große Siedlungswelle stürmten über die Alpen, überannten die etruskischen Städte und breiteten sich in Oberitalien in der riesigen Po – Ebene aus. Sie gründeten Siedlungen, woraus die heutigen Städte Bologna, Rimini, Arcona und Mailand gewachsen sind. Diese gewaltige Ausbreitung führte zum Zusammenbruch des etruskischen Städtesystems. Plündernd zogen Gruppen nach Süden weiter. Den Höhepunkt dieser Raubzüge bildete die Eroberung Roms im Jahre 390 v.Ch. Dazu kam es, als die etruskischen Stadtstaaten die junge römische Republik um Unterstützung gegen die Eindringlinge aus dem Norden baten. Doch dieser Eingriff Roms beschleunigte nur den keltischen Vormarsch. Von der Stunde der Verwüstung an, wuchs die Furcht und das Mißtrauen der Römer gegenüber der “barbarischen Macht aus dem Norden”. Selbst als die Römer schon große Teile der keltischen Welt erobert hatten, ist diese Haltung in den Schriften deutlich zu lesen.
Wanderungen nach Südwesten
Von Frankreich aus überquerten die Kelten die Pyrenäen und ließen sich auf der Iberischen Halbinsel nieder. Das Volk, das nun dort lebte, wurde die Keltiberer genannt. Dazu schrieb Diodorus Siculus: “Dieses Volk hat seinen Namen daher, daß es aus einer Vermischung der Iberer und der Celten entstanden ist, welche sich früher um den Besitz des Landes stritten, nachher aber sich aussöhnten, beisammen in demselben Lande wohnten und durch gegenseitige Heirathen sich verbanden. Als Abkömmlinge von zwei kräftigen Völkerstämmen, die überdies ein fruchtbares Land inne hatten, gelangten die Celtiberer zu großem Ansehen.” Nach Herodot lebten bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. Kelten in Spanien, was durch sprachwissenschaftliche Erkenntnisse und Inschriften bestätigt wurde. Es gibt allerdings auch Vermutungen, daß die keltisch sprechenden Stämme Spaniens überhaupt nicht eingewandert sind, sondern, daß sich ihre Kultur und Sprache vor Ort gebildet hat, durch enge Kontakte über die Pyrenäen nach Frankreich.
Wanderungen nach Westen
Im Westen ließen sich keltische Stämme in der Bretagne nieder sowie entlang der Loire und der Seine. Es wird vermutet, daß später einzelne Gruppen direkt nach Irland übersetzten.
Wanderungen nach Nordwesten
Die Einwanderungen keltischer Stämme nach England und Irland erfolgten ebenfalls in mehreren Wellen. Dabei breitete sich die Besiedlung immer von England nach Irland aus. Bei einer ältere Einwanderungswelle aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. wanderten keltische Volksstämme aus Nordostfrankreich ab. Veranlassung war die Unruhe in diesem Gebiet durch die Züge der Kimbern und Teutonen. In England siedelten sich die Stämme zunächst an der Südküste an und verbreiteten sich von der Themsemündung, dem Lauf der Themse entlang, zur Westküste aus. Sie errichteten Ringwälle, was auf eine kriegerische Art der Ansiedlung schließen läßt. Als die Besiedlung vollendet war, setzten einige nach Irland über. Auch aus Süddeutschland wanderten Stämme am Rhein entlang zur Nordseeküste, überquerten den Ärmelkanal und ließen sich in England nieder.
Zu Beginn unserer Zeitrechnung reichte das Siedlungsgebiet der keltischen Stämme von Irland bis Galatien und von Holland bis Italien und Spanien. Die Länder und Gebiete, die die Kelten zur Zeit Caesars bewohnten, gingen vollständig im Imperium Romanum auf. Die Stämme lösten sich vielerorts auf. Die Bevölkerung wurde nun als Romanen bezeichnet. Dennoch leben Traditionen vor allem im geistigen und religiösem Bereich bis zum heutigen Tage fort.