Als ich 1986 die äußeren Hebriden aufsuchte, war ich eigentlich nicht auf der Suche nach keltischer Mythologie, nach dem, was sie Anderwelt nennen, sondern wollte ganz konkret den traditionellen Woll- und Leinenfärberezepten der Insel nachspüren. Man verwies mich auf Harris an eine damals schon recht betagte Einwohnerin, an Marian C..Ich traf sie auch zu Hause an, sie saß am Spinnrad, aber leider sprach sie nur gälisch. Nur ihre Tochter, ebenfalls schon nicht mehr jung, konnte meine Fragen und ihre Antworten, wenn auch etwas mühsam, ins Englische übersetzen. Ja, ihre Mutter kenne viele Färberezepte, auch viele Rezepte für Heilmittel – und auch viele spells – magische Sprüche. Und die Quelle aller dieser Weisheiten? Ja, wer sonst könnte sie das alles gelehrt haben – wie übrigens auch Mutter und Großmutter – als die Frauen vom Alten Volk, vom Kleinen Volk, die Feen vom Hügel.Ich muß gestehen, daß mich nun die Färberezepte nur noch am Rand interessierten. Eine Frau, die abends zu einem gemütlichen Schwatz mit den Feen ging, so wie ich damals im Hunsrück zur Nachbarin – das war eine verblüffende Erfahrung. Offenbar war hier, ähnlich wie bei uns im Hunsrück, die vorchristliche Vergangenheit doch noch nicht so ganz vergangen.Die Tochter war so nett, mir – allerdings in Gälisch – geduldig aufzuschreiben, was die Mutter an alten Texten und Bräuchen noch wußte.Zu Hause lag dann das reichlich mitgenommene Spiralheft mit den Reisenotizen in der Spinn- und Webstube bei den gesammelten Wollfärberezepten, bis ich einige Jahre später an Pfingsten bei der Präsentation alter Techniken zu Flachs und Leinen (meinem eigentlichen Fachgebiet) auf dem Flachsmarkt in Krefeld zufällig einen jungen Iren traf, der die gälische Sprache noch, bzw. wieder beherrschte. Und ebenso zufällig hatte ich mit meinen Färberezepten auch das bewußte Spiralheft mit den Aufzeichnungen von Harris dabei. Der nette junge Ire, selbst neugierig, machte sich nun daran, die gälischen Texte stichwortartig und sinngemäß ins Englische zu übersetzen – meine Aufgabe war dann „nur“ noch, sie anhand alter Vorlagen in eine Form zu übertragen, die mir angemessen schien.Marian C. hatte mir damals erzählt, daß hier draußen auf den „Westlichen Inseln“ nach der glücklichen Geburt eines Kindes, sobald es das erstemal gestillt worden ist, sieben Feen an die Wiege träten, um das Kind mit einer – wie ich sie verstanden habe – siebenfachen Schutzhülle aus guten Wünschen zu umgeben. (Ich darf hier an unser Märchen von Dornröschen erinnern, da sind es zwölf gute plus einer bösen Fee, die dem neugeborenen Kind etwas wünschen).Frau C. legte großen Wert darauf, mir das Wissen um die Macht des gesprochenen Wortes zu vermitteln, sie betonte immer wieder, daß gesprochene Worte eine große Macht besäßen, sowohl Segenswünsche als auch Verwünschungen. Und ein Mensch werde wesentlich beeinflußt durch die, wie sie sagte „starken, guten Worte“.Ich fragte, welches denn solche Worte seien, und sie nannte mir einige: Die Erde, der Mond, die Sonne, die Quelle, das Haus, der schützende Baum, Güte, Heiterkeit, Gelassenheit oder auch die Arme Bridgets. Nach längerem Hin und Her in Englisch und Gälisch wurde diese Bridget charakterisiert und nach intensivem Durchstöbern der Fachliteratur kann ich nun folgendes sagen:Sie ist wohl eine Personifizierung der Großen Mutter, in ihren drei Erscheinungsformen als Mutter, Priesterin, Herrscherin, bzw. als den drei Lebensaltern der Frau. Sie ist die Magna Mater, das Ursymbol der hegenden Muttergottheit.Eine solche Große Mutter, eine Ewige Mutter allen Lebens, also eine höhere Macht, die man u.a. anrief, um Fruchtbarkeit für das Land und Schutz für die Ernte zu erbitten, kennt die Menschheit schon seit Urzeiten. Besonders die Frauen riefen diese Gottheit an, sie, die ja aufgrund ihres tiefen Wissens um Leben und Tod, um Krankheit und Gefahr für Sippe, Stall und Feld, eine unmittelbare, geradezu kosmisch zu nennende Verbindung zur Natur hatten.Später, zur Zeit der großen Hochkulturen wurde diese Gottheit bei den Sumerern Inanna genannt, an Euphrat und Tigris wurde sie unter dem Namen Ischtar/Astarte verehrt. Kybele hieß sie in Phrygien, Isis in Ägypten. Demeter und Artemis nannten sie die Griechen, Ceres und Diana die Römer. Auf den westlichen Inseln war ihr Name Bridget oder Nerthus, bei den Germanen Freya. In unserer Gegend wandten sich die Frauen bei ihren Feldbegehungen an Perchta, Hulda, die Frau Holle, die wir alle noch aus dem Märchen kennen. Übrigens finden wir im Märchen von Frau Holle die „Zuständigkeiten“ in Form von Symbolen: Der Backofen steht für das tägliche Brot, der Brunnen für das lebensspendende Wasser und den Zugang zur Anderen Welt und der Apfelbaum für Fruchtbarkeit und Feldfrüchte.Überreste des alten Glaubens traf ich u.a. noch im Hunsrück an, wo noch bis ca. 1970 in der Heiligen Nacht das „Christkind“ die Häuser besuchte: Eine weiß gekleidete verschleierte junge Frau, flankiert von zwei ebenso gewandeten Begleiterinnen – die Göttin in ihrer dreifachen Erscheinungsform. ( Moiren, Matrones, Parzen, Nornen …)vDie in den gälischen Texten angesprochenen Feen sind wohl als Abgesandte der Großen Mutter zu sehen – wir würden sie heute vielleicht Engel, Schutzengel nennen. Ihre Gesänge an der Wiege dürften gedacht sein als magischer Schutzwall gegen die Angst, die Urangst, die ja, wie u.a.. C.G. Jung ausführte, im jedem Menschen schlummert.Entspricht nicht diesem Archetyp Große Mutter im Bewußtsein, bzw. Unterbewußtsein der Menschheit auch das Bild der Gottesmutter im Christentum, der Mutter Jesu, Maria ? Den Aspekt der Großen Mutter finden wir nicht nur in Maria, dem nach Definition der katholischen Kirche „höchsten Geschöpf“, sondern auch im Schöpfer selbst – und hier in höchster Vollkommenheit. Der Heilige Geist, der Geist Gottes , der nach Gen 1,2 am Anfang der Schöpfung über dem Wasser schwebte, gilt ja als das weibliche Prinzip der Gottheit (Matthias Josef Scheeben). Das hebräische Wort für „Geist“ ruach, das in Gen 1,2 verwendet wird, ist Femininum. Und nun folgen Sie mir hinüber in die langversunkene Welt der grünen wogenumbrausten Inseln in der Irischen See, in einen Tagtraum, eine Anderwelt, ein „Paradies“, in das sich der Mensch zu jeder Zeit zurückziehen konnte – und auch heute noch kann -, die Kelten nannten es „Avalon“. Herzliche Grüße Vielen lieben Dank für den wundervollen Text |
Der Gesang der ersten Fee Ich wünsche Dir eine Insel, eine Insel schwebend in der Anderswelt Der Gesang der zweiten Fee Eiben Eschen und Eichen sollen kühlenden Schatten Dir spenden Der Gesang der dritten Fee Strahlend wie am ersten Weltentag soll Deine Insel Dir zu Füßen liegen Der Gesang der vierten Fee Über die klare grüne See komme Dir, wann immer Du seiner bedarfst Der Gesang der fünften Fee Und wisse daß gewaltig und groß ihre Kraft Der Gesang der sechsten Fee Ein steinernes Haus soll Deiner harren auf deiner Insel, wann immer Du seiner bedarfst Der Gesang der siebten Fee Die friedlichen Scharen der Hirsche sollen sich treffen vor Deinen steinernen Mauern |